16 August 2013

Erinnerungen an Czernowitz

Meine Wertung

Die unvermeidlichen Stolperfallen beim Verfassen von Memoiren

Prof. em. Zvi Yavetz, geboren 1925 in Czernowitz, einer der Gründungsväter der Universität von Tel Aviv, Träger höchster Auszeichnungen und Ehrendoktor an verschiedenen Universitäten. Das allein macht seine "Erinnerungen an Czernowitz" lesenswert und Yavetz versteht es, unterhaltsam zu schreiben, ohne einen literarischen Anspruch für seine Memoiren erheben zu wollen.

Im Jahr 1942, als Czernowitz von den alliierten deutschen und rumänischen Truppen besetzt war, gelang es ihm, "auf abenteuerliche Weise aus der damaligen Hölle zu flüchten". Leider erfährt der Leser über die Jahre 1939 - 1942 nur sehr wenig, denn Yavetz berichtet nicht aus eigener Beobachtung darüber, sondern allenfalls als Erinnerungssplitter in den Biografien seines damaligen Verwandten- und Freundeskreises (Stolperfalle 1: Weiße Flecken in der Biografie). Natürlich hat der Leser keinen Anspruch auf chronologisch vollständige Berichterstattung, aber fehlen, wie bei Yavetz, so schicksalsreiche Jahre, dann ist der Leser zumindest irritiert.

Das Buch besteht aus zwei Teilen, dem ersten, eher persönlich geprägten Teil und dem zweiten, der versucht, die historische Dimension der Zwischenkriegszeit in Czernowitz erfahrbar zu machen. Darüber hinaus, gibt es einen - entbehrlichen - Exkurs zu dem unspezifischen "Czernowitzer Humor" sowie einen Anhang zu den Autoren Drozdowski, von Rezzori und der "Czernowitzer Presse als Quelle zur Geschichte der Stadt". Alle Teile des Buches unterscheiden sich nur marginal, sie sind von der subjektiven Sichtweise des Autors geprägt, was per se zwar nicht schlimm ist, aber häufige Zeitsprünge und Perspektivwechsel erschweren die Orientierung (Stolperfalle 2: Blickwinkel des Autors). Im August 1939 wird der Ribbentrop-Molotow-Pakt geschlossen. Klar, für den vierzehnjährigen - damals noch - Harry Zucker, war es wichtiger, ob das Schuljahr im September 1939 pünktlich anfangen würde, als es in 2007 für den zweiundachtzigjährigen Zvi Yavetz ist, welche historischen Auswirkungen damals von diesem Pakt ausgingen. Zvi Yavetz steckt, wie jeder Memoirenschreiber, in dem unvermeidlichen Spagat zwischen der naiven Perspektive aus den Kinder- und Jugendjahren und dem klugen, manchmal geschwätzigen Rückblick eines gereiften Autors.

Das Lektorat für dieses Buch spottet, wie bereits von anderen Rezensenten festgestellt, jeder Beschreibung. Leidet der sehr renommierte, in diesem Jahr 250 Jahre alt gewordene, C. H. Beck Verlag an Altersschwäche und/oder sind ihm die Lektoren abhanden gekommen (Stolperfalle 3: Lektorat)? Unzählige orthografische, stilistische, strukturelle Fehler sind die Folge, von den historischen Ungenauigkeiten ganz zu schweigen. Schon im Klappentext heißt es: "Lange Zeit Symbol für das friedliche Zusammenleben in einer multikulturellen Stadt, machten der Zweite Weltkrieg und die Verbrechen der deutschen Besatzer der kulturellen Blüte der Stadt ein für allemal ein Ende." Kein Wort darüber, dass es die rumänische Antonescu-Diktatur war, die den Holocaust an den rumänischen Juden in der Bukowina zu verantworten hatte?!

Bei aller Kritik im Detail, hat es Zvi Yavetz dennoch geschafft, uns ein spannendes und zugleich humorvolles Portrait seiner Heimatstadt vorzulegen, das dem Leser die multikulturelle Atmosphäre - wenn auch aus jüdischer Sicht - im Czernowitz der Zeit zwischen der Weltkriegen vermittelt. Der Czernowitz-Kenner wird sich an den vielen biografischen Details erfreuen, während die Neugierde des Czernowitz-Novizen geweckt wird, die Stadt für sich zu entdecken. Allein hierfür gebührt Zvi Yavetz unser Dank für seine "Erinnerungen an Czernowitz"!

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